„Wir müssen über den Stabilitäts- und Wachstumspakt hinausgehen.“

EWSA info: Wie steht der EWSA zum Vorschlag der Kommission für die neue wirtschaftspolitische Steuerung?

Javier Doz: Die Kommission hat diesen Vorschlag im Januar 2024 vorgelegt, weil die im Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) enthaltene allgemeine Ausweichklausel ausläuft und viele EU-Mitgliedstaaten in der Folge der Pandemie hohe Haushaltsdefizite und Schuldenstände aufweisen. Möglicherweise lag dem Vorschlag auch eine kritische Betrachtung der negativen Auswirkungen einer starren Anwendung der SWP-Bestimmungen auf die politische Steuerung der großen Rezession zugrunde.

In dem Vorschlag werden die Defizit- und Verschuldungsgrenzen (3 % bzw. 60 % des BIP) zwar beibehalten, allerdings werden die Art und Weise und die Fristen für die Erreichung dieser Ziele flexibler gestaltet und auf die Situation in den jeweiligen Mitgliedstaaten zugeschnitten.

Zudem werden die Regeln vereinfacht, indem die Wachstumsrate der Nettoprimärausgaben zum Schlüsselindikator erhoben wird, d. h. Schuldzinsen, Leistungen bei Arbeitslosigkeit und Ausgaben, die durch diskretionäre Maßnahmen oder EU-Mittel finanziert werden, sind aus der Berechnung ausgenommen. Die wichtigste Neuerung sind die auf vier bis sieben Jahre ausgelegten strukturellen finanzpolitischen Pläne, die die einzelnen Regierungen mit der Kommission vereinbaren und die die vorgesehenen Strukturreformen umfassen.

Am 26. April veröffentlichte die Kommission zwei Verordnungsvorschläge und einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Ziele des SWP im Bereich der wirtschaftspolitischen Koordinierung und haushaltspolitischen Überwachung, des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit (VÜD) und der Anforderungen an die haushaltspolitischen Rahmen. Auf Druck der deutschen Regierung wurden die in der Mitteilung vom November genannten Bestimmungen noch verschärft und insbesondere vorgesehen, dass Länder mit einem Defizit von über 3 % des BIP ihre Verschuldung um jährlich 0,5 % des BIP abbauen müssen und dass bei einem Abweichen eines Landes von seinem mittelfristigen Plan automatisch das VÜD greift.

Der EWSA unterstützt zwar die zentralen Elemente des von der Kommission vorgelegten Pakets, die auf die einzelnen Länder abgestimmten strukturellen finanzpolitischen Pläne und die Flexibilisierung des SWP, ist jedoch der Ansicht, dass die im ursprünglichen Vorschlag vom November vorgesehenen Bedingungen beibehalten werden sollten. Zudem fordert er eine Debatte über die Notwendigkeit, über den 1997 eingeführten en hinauszugehen.

Nach Ansicht des EWSA sollte außerdem auch die Frage einer „dauerhaften europäischen Fiskalkapazität“ behandelt werden, damit eine breitere Palette „gemeinsamer europäischer Güter“ finanziert werden kann. Der EWSA ist ferner der Auffassung, dass die Einbeziehung der nationalen Parlamente, der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften, der Sozialpartner und der Organisationen der Zivilgesellschaft in die Ausarbeitung der strukturellen finanzpolitischen Pläne die „nationale Eigenverantwortung“ für die in den Plänen enthaltenen Zusagen stärken würde.

Der EWSA hält es für notwendig, die Investitionen in die strukturellen finanzpolitischen Pläne, insbesondere im Bereich des ökologischen Wandels und der Verteidigung, differenziert zu behandeln, die sozialen und beschäftigungspolitischen Ziele bei den Investitionen und Reformen zu stärken und die Methodik für die Schuldentragfähigkeitsanalyse und die Einbeziehung der Regierungen und unabhängigen nationalen Finanzbehörden in die Festlegung des „technischen Kurses“ für den Schuldenabbau gründlich auf den Prüfstand zu stellen.