Fast 500 ukrainische Sportlerinnen und Sportler sind im russischen Angriffskrieg gegen ihr Land ums Leben gekommen. Ihr Traum von einer Teilnahme an den Olympischen Spielen oder anderen künftigen Sportereignissen ist für immer verloren. Um ihr Andenken lebendig zu halten, erzählt die ukrainische NGO BRAND UKRAINE die tragische Geschichte sechs verstorbener Sportler, indem sie sie mit künstlicher Intelligenz für einen kurzen Moment zurück ins Leben holt. Der Film wurde bei den Olympischen Spielen in Paris aufgeführt. Wir haben mit Tim Makarov gesprochen, der bei BRAND UKRAINE für den Bereich Digital & Content verantwortlich ist. Im Grunde, so Makarov, sollte der Film die Menschen innehalten und über den Wert des menschlichen Lebens nachdenken lassen.

Wie ist die Idee für das Projekt entstanden?

Die Idee stammt von der Berliner Agentur BBDO. Von dort kam das Rahmenkonzept, die Idee, einen Film zu machen, der das tragische Schicksal der ukrainischen Sportler zeigt, denen nun die Olympiateilnahme für immer verwehrt bleiben wird. Mit diesem Vorschlag kamen sie zu uns. Wir haben den Gedanken weitergesponnen und mehr Partner einbezogen: das Ministerium für Jugend und Sport und das Außenministerium der Ukraine, das Büro des ukrainischen Präsidenten... An der endgültigen Gestaltung des Film haben wir gemeinsam gearbeitet, der technische Teil blieb bei BBDO. Wir haben eine Kommunikationsstrategie erstellt, die Content Distribution übernommen und uns um die rechtlichen Fragen gekümmert. Das Projekt wurde im „Volia Space“, dem Olympia-Quartier der ukrainischen Mannschaft in Paris gezeigt. Dazu haben wir Influencer eingeladen.

Wie schwer war es, die Geschichten zusammenzutragen und das Video zu drehen? Wie habt ihr es technisch geschafft, die Protagonisten so lebensecht auftreten zu lassen?

Die Idee war an sich ganz einfach und klar: wir wollten die Geschichte ukrainischer Sportler erzählen, die auf tragische Weise ums Leben gekommen sind, und dazu für die Verstorbenen digitale Avatare generieren. Und das ist uns wirklich gelungen. Wir haben Tonaufnahmen, Archivfotos und Videomaterial verwendet, alles digitalisiert und dann mit KI bearbeitet. Die digitale Kopie der Personen sollte lebensecht sein; das Ganze sollte so auf unheimliche Weise gleichzeitig sehr real und sehr irreal wirken. Das war uns wichtig. Denn die Geschichten dieser Sportler sind an sich schon sehr ergreifend, aber dank KI geht das Ergebnis wirklich allen unter die Haut. Ich muss aber ehrlich zugeben, dass das Projekt auch sehr gewagt ist. Wir hatten erst Angst, dass man uns nicht verstehen würde, dass das Publikum vor allem auf das Unheimliche – die lebensechte Präsenz toter Sportler – reagieren und dadurch die Nacktheit, die Wehrlosigkeit, den Schmerz und die Verzweiflung in den Worten der Verstorbenen gar nicht wahrnehmen würde. Der Grundgedanke des Projekts ist sehr einfach: Menschen, die ihr Land wirklich lieben, die ihr Leben leben und etwas erreichen wollen, werden zu Gefangenen der Umstände, die ihre Träume und Pläne durchkreuzen und sie schließlich das Leben kosten. Sie dürfen nicht vergessen werden. Jede Handlung hat ihren Preis, und dieser Preis bemisst sich oft in Menschenleben und Schicksalen.

Für die Angehörigen der toten Sportler war es sicher sehr schmerzhaft, sich an dem Projekt zu beteiligen und die Videos zu sehen. Welches Feedback haben Sie am Ende von ihnen bekommen?

Ohne das Einverständnis der nächsten Angehörigen hätte das Projekt natürlich nie realisiert werden können. Das ist ein sehr wichtiger Punkt: Wir haben ihnen genau gezeigt, erklärt und vorgeführt, was wir vorhaben. In der Vorauswahlrunde hatten wir noch mehrere Dutzend weitere Geschichten auf unserer Liste. Aber am Ende haben wir uns nur auf sechs geeinigt. Dorthin zu kommen, kostete Wochen schwieriger Verhandlungen. Aber als wir den Eltern dann das Endergebnis zeigten, standen ihnen Tränen in den Augen. ,Danke, ihr habt etwas Außergewöhnliches geschafft', haben sie uns gesagt. ,Es wird uns helfen, die Erinnerung an unser Kind zu bewahren.' Soweit ich weiß, bereut keiner von ihnen seine Teilnahme an dem Projekt. Im Übrigen bekam das Projekt erst grünes Licht, als alle nötigen rechtlichen Unterlagen unterschrieben waren. Als dann alles für die Olympiade fertig war, sind wir mit den sechs außergewöhnlichen Schicksalen zwei Wochen lang auf Tour gewesen. Aber mit einem derartigen Erfolg hatten wir nicht gerechnet! Die Reaktionen auf das Projekt haben alle unsere Erwartungen übertroffen. Gleichzeitig ist es wiederum nicht überraschend, weil gerade wahre Geschichten in dieser modernen Welt der globalen Kommunikation komplexe und widersprüchliche Gefühle wecken.

Was ist die zentrale Botschaft des Projekts? Was, hoffen Sie, nimmt das Publikum mit nach Hause?

Bei Brand Ukraine haben wir uns der Aufgabe verschrieben, der Welt zu zeigen, was der russische Angriffskrieg für die Ukraine und den Lebensalltag der Ukrainer in Wirklichkeit bedeutet. Dazu erzählen wir Geschichten von Menschen. Ich bin davon überzeugt, dass der Schmerz, der Stolz, die Entschlossenheit, die Erfolge und Niederlagen unseres starken, tapferen Volkes, also das, was uns menschlich macht, so am besten vermittelt werden können. Denn das ist unsere Aufgabe. Wir erzählen nicht nur von der Ukraine, wir wollen das Land für die ganze Welt liebenswert machen. Wir wollen mit unserer Arbeit erreichen, dass es bald mehr so starke Projekte gibt, die die Menschen berühren, die sie innehalten und über den Wert des menschlichen Lebens nachdenken lassen.

Die Videos und Fotos können hier oder auf Instagram abgerufen werden:

https://www.instagram.com/p/C-Dd7B7tueo/

https://www.instagram.com/p/C-SkUtONRJR/

https://www.instagram.com/p/C-VHXOdtdps/

https://www.instagram.com/p/C-YG_wHtNke/

https://www.instagram.com/p/C-ajpwSN7A6/

https://www.instagram.com/p/C-dWm1vNzDW/

Tim Makarov ist bei BRAND UKRAINE für das Team Content & Digital verantwortlich. Er hat in den letzten 20 Jahren in den Bereichen Journalismus, Marketing und digitale Kommunikation gearbeitet. Er sieht seine Berufung darin, Geschichten zu erzählen und Projekte zu realisieren, die die Welt zu einem besseren Ort machen.