Der Leiter des Ján-Kuciak-Investigativzentrums Lukáš Diko nahm an einer Podiumsdiskussion im Rahmen des Seminars „Connecting EU“ 2024 über investigativen Journalismus teil. Er berichtete über die Arbeit investigativer Reporterinnen und Reporter in der Slowakei, wo die anfängliche Unterstützung für die freie Presse und die Bekämpfung der Korruption nach dem Mord an Ján Kuciak mittlerweile mangelndem Vertrauen in unabhängige Medien und einer feindseligen Stimmung gegenüber Journalisten Platz gewichen ist.

1.  Der Mord an Ihrem Kollegen Ján Kuciak, die erste solche Tat seit der Unabhängigkeit der Slowakei, war nicht nur für Ihr Land, sondern auch für die EU ein einschneidender Schock. Was ist der letzte Stand im Prozess gegen die Täter?

Bereits sechseinhalb Jahre sind ins Land gegangen, seitdem Ján Kuciak und seine Verlobte Martina Kušnírová wegen Ján's investigativer Arbeit ermordet wurden. Dennoch ist das Gerichtsverfahren noch nicht abgeschlossen, und es könnte sich sogar noch länger hinziehen. Bisher wurden der Mörder, sein Fahrer und ein Mittelsmann zu langen Haftstrafen verurteilt. Die Verfahren gegen die mutmaßlichen Drahtzieher, den Geschäftsmann Marian Kočner und seine enge Mitarbeiterin Alena Zsuzsová, die den Ermittlungen zufolge den Mord in Auftrag gegeben haben, sind Gegenstand einer Revision durch den Obersten Gerichtshof. Zsuzsová wurde in erster Instanz verurteilt, während Kočner freigesprochen wurde. Je nach dem, wie das Urteil ausfällt, könnte es auch zu einem Wiederaufnahmeverfahren kommen. Sowohl Kočner als auch Zsuzsová haben bereits lange Haftstrafen für andere Straftaten verbüßt. Im Ján-Kuciak-Investigativzentrum (ICJK) haben wir den Prozess sehr aufmerksam mitverfolgt, da eines unserer Hauptziele darin besteht, das Vermächtnis von Ján dadurch zu bewahren, dass wir seine investigative Arbeit weiterführen.

2. Die Proteste nach dem ersten Schock über die Morde haben den damaligen Ministerpräsidenten Robert Fico zum Rücktritt gezwungen. Was hat sich Ihrer Ansicht nach in der öffentlichen Meinung gewandelt, dass er erneut an die Macht kommen konnte?

Nach dem Mord an Ján und Martina im Jahr 2018 stand die gesamte Gesellschaft unter Schock. Die Slowakei erlebte die größten Massenproteste seit der Samtenen Revolution im Jahr 1989, die zum Zusammenbruch des Kommunismus geführt hatte. Diese Proteste führten zum Rücktritt von Ministerpräsident Robert Fico und Innenminister Robert Kaliňák. Die Journalisten hatten breite Unterstützung in der Bevölkerung, jeder wollte damals selbst Investigativjournalist sein, und das Problem der Korruption besorgte die Menschen sehr. Auf dieser Welle reitend gewann die Opposition die Wahl im Jahr 2020 mit einer Agenda zur Korruptionsbekämpfung. Kurz darauf begann jedoch die COVID-19-Pandemie, mit all ihren Problemen, Fällen von Missmanagement und politischen Turbulenzen. Als erfahrener Politiker wusste Robert Fico die Proteste der Impfgegner und die entsprechende Dynamik für sich zu nutzen. Mit dem Beginn des Krieges in der Ukraine setzte er zudem verstärkt auf pro-russischen Narrative, was seiner Partei Smer half, wieder an Unterstützung zu gewinnen. Die Slowakei ist besonders stark von Propaganda und Falschmeldungen betroffen, und diese Faktoren trugen dazu bei, dass Robert Fico und seine Partei die Wahl im Jahr 2023 gewann.

3. Wie gefährlich ist aktuell die Arbeit als Investigativjournalist in der Slowakei? Welchen neuen Bedrohungen sind Sie ausgesetzt?

In den letzten Jahren wurden in EU-Mitgliedstaaten vier Kolleginnen und Kollegen ermordet: 2017 Daphne Caruana Galizia in Malta, 2018 Ján Kuciak in der Slowakei sowie 2021 Giorgos Karaivaz in Griechenland und Peter de Vries in den Niederlanden. In Europa ist es gefährlich geworden, Investigativjournalist zu sein. Anderseits kann man sehen, dass die Wahrheit durch die Ermordung eines Journalisten nicht vertuscht werden kann, da sie trotzdem ans Licht kommt. Das haben wir in all diesen Ländern gesehen.

Trotz dieser schrecklichen Morde nehmen die verbalen Angriffe – online und offline – auf Journalisten in der Slowakei weiter zu, und häufig liegt die Ursache hierfür in den Äußerungen von Politikern und sogar vom Ministerpräsidenten selbst, die des Öfteren Mobbing- und Verleumdungskampagnen gegen Journalisten lostreten. Diese feindselige Atmosphäre gegenüber Journalisten und unabhängigen Medien mündet in weiteren Angriffen gegen sie. In jüngster Zeit hat die Zahl der strategischen Klagen gegen öffentliche Beteiligung (sogenannte „SLAPP-Klagen“) zugenommen. So hat beispielsweise Ministerpräsident Fico den Chefredakteur von Aktuality.sk wegen der Verwendung seines Fotos auf dem Einband eines Buches verklagt. Der jüngste Fall eines solchen Missbrauchs der Strafverfolgung ist eine Einschüchterungsklage gegen unseren Kollegen beim ICJK. All diese Angriffe führen dazu, dass das Vertrauen der Öffentlichkeit in die unabhängigen Medien untergraben wird und ganz allgemein eine feindselige Stimmung gegenüber Journalisten herrscht. Infolgedessen nimmt die Zahl der Investigativjournalisten im Land ab, und es gibt nicht viele junge Menschen, die Investigativjournalisten werden wollen. Im ICJK konnten wir zum Glück das Projekt Safe.journalism.sk ins Leben rufen, das Schulungen zur persönlichen und digitalen Sicherheit für Journalisten sowie rechtliche und psychosoziale Hilfe für Reporter anbietet, die Bedrohungen und Angriffen ausgesetzt sind.

Lukáš Diko ist Chefredakteur und Vorsitzender des Ján-Kuciak-Investigativzentrums (ICJK). Er ist seit über 20 Jahren als Investigativjournalist und Manager im Medienbereich tätig. Bei der slowakischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt RTVS war er Direktor für Nachrichten, Sport und öffentliche Angelegenheiten. Lukáš Diko zählt überdies zu den Verfassers des 2011 angenommenen Verhaltenskodexes für slowakische Journalistinnen und Journalisten.