Luca Jahier: Nachruf auf David Sassoli, Präsident des Europäischen Parlaments, verstorben am 11. Januar 2022

Mit tiefer Trauer erfüllt uns der Verlust eines Freundes, eines prägenden Journalisten, eines einzigartigen und feinsinnigen Politikers, eines großen Europäers. Er hinterlässt eine Lücke, die niemand schließen kann. Er hat während der Pandemie die Geschicke der Europäischen Union verändert, als er dafür sorgte, dass das Parlament seine Arbeiten fortführte und stets an der Seite der Schwächsten stand. Dabei griff er auch zu gänzlich ungewöhnlichen Mitteln. So ließ er beispielsweise in der ersten Pandemiewelle eines der Parlamentsgebäude räumen, um es als Notunterkunft für von COVID-19 betroffene Frauen und alleinerziehende Mütter zur Verfügung zu stellen.

Europa hat noch viel zu sagen, wenn wir alle es schaffen, mit einer Stimme zu sprechen. Wenn wir in der Lage sind, die politische Debatte in den Dienst der Bürgerinnen und Bürger zu stellen – und wenn das Europäische Parlament ihre Wünsche, Ängste und Bedürfnisse hört. Dies ist der Wesenskern seines politischen Handelns als Präsident des Europäischen Parlaments, dessen Wahl nach den Europawahlen 2019 für viele überraschend kam.

Er war der Brückenbauer in einem Parlament, das gespaltener war als je zuvor. Er hat es geschafft, für das überaus transformative und gänzlich auf den notwendigen Wandel hin zu einem ausgewogenen, innovativen, sozialen, strategisch unabhängigen, werte- und rechtebasierten Europa ausgerichtete politische Programm der designierten Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine beispiellose Mehrheit sicherzustellen. Wenn es darum ging, alle zur Bewältigung der Pandemie notwendigen Maßnahmen zu ergreifen und eine möglichst breite demokratische Teilhabe an den zahlreichen dringenden Entscheidungen zu gewährleisten, die das Antlitz Europas verändert haben, war er ein fester Bezugspunkt. Schließlich gab er auch den entscheidenden Impuls, um innerhalb weniger Monate die Vorschläge von Präsident Macron, Kanzlerin Merkel und der Europäischen Kommission mit beispiellosem Rückenwind des Europäischen Parlaments zum größten Aufbau- und Resilienzplan der europäischen Geschichte zu machen.

Er war ein ehrbarer und liebenswürdiger Mann, Journalist und Politiker. Er verstand es, die Dinge und auch sich selbst richtig einzuschätzen. Er gehörte zu den wenigen, die weder bei seinen Auftritten noch in seinen Führungspositionen das (falsche) Gefühl der Omnipotenz vermittelten. Seine drei natürlichen Stärken – Kohärenz, Loyalität und Höflichkeit – machte er zu den drei mächtigsten Waffen seines Lebens und seines politischen Handelns. Da ich oft persönlich mit ihm zu tun hatte, erinnere ich mich gerne, wie er mit seinem Lächeln und seinem Blick stets einen persönlichen Kontakt zu seinem Gegenüber suchte – eine sein Handeln und seinen Erfolg prägende Eigenschaft.

Er war ein Vorbild für uns alle, verstand es, jedem mit einem Lächeln zu begegnen und aus dieser klugen Sanftmut die Energie für ein gemeinsames Handeln im Dienste der Menschen zu ziehen. Er war ein im katholischen Glauben verwurzelter Demokrat mit einer lebendigen und tiefen Spiritualität, inspiriert durch seinen Namensgeber David Maria Turoldo, durch Giuseppe Dossetti und durch Giorgio La Pira, dessen Gedankengut er als Journalist der Öffentlichkeit bekannt machte.

Die folgenden Zeilen stammen aus seiner letzten Weihnachtsbotschaft, aufgezeichnet kurz bevor er erneut ins Krankenhaus eingeliefert wurde: „Wir sind die Hoffnung, wenn wir vor den Bedürftigen nicht die Augen verschließen, wenn wir an unseren Grenzen keine Mauern bauen, wenn wir gegen Ungerechtigkeit kämpfen. Die besten Wünsche an uns alle. Geben wir die Hoffnung nie auf“.

Danke David. In Gedanken bei Sandra und Euren Kindern, die Du so sehr geliebt hast.

Luca Jahier

< lang="IT" style="color:black">Der Nachruf erschien auf dem italienischen Internetportal VITA am 11. Januar 2022.

Luca Jahier, italienischer Journalist, seit 2022 Mitglied und von 2018 bis 2020 Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses.