In einer auf der Plenartagung im September verabschiedeten Stellungnahme erläutert der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA), dass zur Verwirklichung der Energiewende und der Klimaziele massive öffentliche Investitionen erforderlich sind. Er schlägt vor, die Marktlagengewinne abzuschöpfen und eine „goldene Regel“ zur Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen anzuwenden.
Die EU muss die Klimakrise über einen dreifachen Ansatz angehen: Mobilisierung angemessener Finanzmittel, Einbeziehung der Bürger und des Privatsektors und eine starke politische Führung.
Die Botschaft der Initiativstellungnahme des EWSA, die von Thomas Kattnig und Lutz Ribbe erarbeitet und auf der Plenartagung im September verabschiedet wurde, ist klar: Um die steigende Nachfrage nach Strom zu decken und die Klimaziele zu erreichen, muss die EU stärker in intelligente und erneuerbare Energiesysteme sowie in Speicherinfrastruktur investieren, und alle müssen ihren Beitrag leisten.
Der Strom-Branchenverband Eurelectric kommt zu dem Schluss, dass die EU eine Verdoppelung der Investitionen in das Stromnetz auf 55 Mrd. Euro jährlich und eine Erhöhung der Gelder für die Errichtung von sauberen Erzeugungskapazitäten auf 75 Mrd. Euro pro Jahr braucht.
Wir brauchen massive öffentliche Investitionen, um die Energiewende und die Klimaziele zu verwirklichen. Dies ist von entscheidender Bedeutung für die Gewährleistung von Versorgungssicherheit, die Bekämpfung von Energiearmut, leistbare Preise und die Schaffung von Arbeitsplätzen
, erklärte Herr Kattnig.
Gestaltung eines gut funktionierenden Energiemarkts
Der Anteil der öffentlichen Investitionen in Technologien für saubere Energie, die für die Dekarbonisierung erforderlich sind, ist in der EU im Vergleich zu anderen großen Volkswirtschaften am niedrigsten, wodurch die Wettbewerbsfähigkeit der EU gefährdet wird.
Ein gutes Mittel zur Beschleunigung der Energiewende ist die Straffung der Genehmigungsverfahren für erneuerbare Energien und die Ausweisung von „go-to“-Gebieten für solche Vorhaben. In diesem Zusammenhang ist es umso wichtiger, dass möglichst konkret festgelegt wird, welche Vereinfachungen in den sogenannten „go to“-Gebieten gelten.
Im Hinblick auf die künftige Gestaltung von Energiesystemen und -infrastrukturen müssen alle Verbraucher – Privathaushalte, Unternehmen und Energiegemeinschaften – aktiv an der Entwicklung intelligenter Energiesysteme beteiligt werden. Ferner müssen Anreize gesetzt werden, damit die Zivilgesellschaft an der Energiewende teilhaben und zur Finanzierung beitragen kann.
Das neue Zukunftsszenario zeichnet sich dadurch aus, dass erneuerbare Energien vorherrschen, die Produktion stärker dezentral erfolgt und der Vor-Ort-Verbrauch verstärkt wird. Das Design und die Regulierung des Marktes müssen an diese neuen Realitäten angepasst werden, die notwendigen Bedingungen für die einzelnen Akteure schaffen und einen angemessenen Verbraucherschutz sicherstellen.
Aus diesem Grund begrüßt der EWSA den Plan der Kommission, das Strommarktdesign zu verbessern, und spricht sich nachdrücklich für Marktbewertungen aus, mit denen das Verhalten aller potenziellen Akteure analysiert wird. Er unterstreicht die Bedeutung einer umfassenden Folgenabschätzung im Vorfeld jeglicher Vorschläge.
Für die Gestaltung eines gut funktionierenden Energiemarkts sollte die Kommission unbedingt die Vor- und Nachteile von öffentlichem und privatem Eigentum und/oder privater Finanzierung von Energieinfrastruktur prüfen
, erklärte Herr Ribbe.
Abschöpfung von Marktlagengewinnen und „goldene Regel“ für öffentliche Investitionen
Eine Befürchtung des EWSA besteht darin, dass extrem hohe Gewinne bei Energieunternehmen auf der einen Seite und die durch die Energiepreisexplosionen ausgelöste zunehmende Energiearmut auf der anderen Seite gefährlichen sozialen Sprengstoff darstellen.
Daher schlägt der EWSA vor, diese Marktlagengewinne mit Hilfe von Steuern abzuschöpfen und als finanziellen Ausgleich an Energieverbraucher weiterzugeben sowie für den Ausbau erneuerbarer Energiequellen und der erforderlichen Netzinfrastruktur zu nutzen.
Bei der Festlegung einer solchen Besteuerung ist jedoch sehr viel Fingerspitzengefühl gefragt, damit Energieunternehmen nicht davon abgehalten werden, in CO2-arme Lösungen zu investieren. Diesbezüglich fordert der EWSA die Kommission auf, unverzüglich Maßnahmen vorzuschlagen.
Der Ausschuss empfiehlt ferner, Projekte rund um den europäischen Grünen Deal und Energieunabhängigkeit von jeglichen Regelungen auszunehmen, die derartige öffentliche Investitionen verhindern, also bei öffentlichen Investitionen die „goldene Regel“ anzuwenden, um die Produktivität zu sichern und die soziale und ökologische Grundlage für das Wohlergehen künftiger Generationen zu schützen.
Im Kern geht es um die Frage, in wessen Verfügungsgewalt zentrale Infrastrukturen in Zukunft stehen werden. Nach Ansicht des EWSA sollte sich das Energienetz angesichts des vorrangigen öffentlichen Interesses grundsätzlich im öffentlichen Eigentum befinden, das dem Gemeinwohl verpflichtet ist und bestehende Ungleichheiten beseitigt.
Hintergrund – das Paket von Initiativstellungnahmen des EWSA zur Energiewende
Der EWSA hat die Energiewende als Scherpunktthema für 2022 gewählt und erarbeitet in diesem Zusammenhang ein Paket von Initiativstellungnahmen, die in die übergreifende Stellungnahme „Eine strategische Vision der Energiewende für die strategische Autonomie der EU“ einfließen sollen, die auf der Oktober-Plenartagung verabschiedet werden soll.
Das Paket des EWSA zur Energiewende besteht aus folgenden Stellungnahmen:
TEN/770 – Eine strategische Vision der Energiewende für die strategische Autonomie der EU
INT/979 – KMU, sozialwirtschaftliche Unternehmen, Handwerk und freie Berufe – Fit für 55
NAT/859 – Energiewende und Digitalisierung in ländlichen Gebieten
ECO/583 – Finanzierung des Klimaanpassungsfonds durch Kohäsionsmittel und NextGenerationEU