EWSA dringt auf einen ehrgeizigen europäischen Aktionsplan für den Schutz der Menschenrechte und menschenwürdige Arbeit in nachhaltigen Lieferketten

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In der COVID-19-Krise ist die Anfälligkeit weltweiter Lieferketten deutlich zutage getreten. Sie hat auch die unsichere Lage von Arbeitnehmern sowie die negativen sozialen, gesundheitlichen und sicherheitsspezifischen Auswirkungen von Geschäftstätigkeiten in den heutigen Lieferketten offenbart. Gerade jetzt, da konkretes politisches Handeln und konkrete Beschlüsse gefragt sind, haben der deutsche EU-Ratsvorsitz und das Europäische Parlament den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) hierzu um Empfehlungen ersucht. In zwei Stellungnahmen, die auf der September-Plenartagung verabschiedet wurden, fordert dieser die Europäische Kommission auf, einen europäischen Aktionsplan auszuarbeiten und verbindliche Sorgfaltspflichten in globalen Lieferketten vorzuschlagen.

Globale Lieferketten spielen eine wichtige Rolle für Wirtschaftstätigkeiten und Handel in der ganzen Welt. In multinationalen Unternehmen und deren Lieferketten sind hunderte Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern beschäftigt. Diese Netze stehen für 80 % des Welthandels und jeder fünfte Arbeitsplatz hängt mit ihnen zusammen.

Viele Unternehmen setzen die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte sowie andere einschlägige staatlich unterstützte Instrumente aktiv um. Dank dieser freiwilligen Maßnahmen wurden in ihren Geschäftstätigkeiten einige positive Verhaltensänderungen im Hinblick auf die Achtung der Menschenrechte erzielt, jedoch sind noch weitere Verbesserungen erforderlich. Dies gilt erst recht in der COVID-19-Krise, in der Menschenrechtsverletzungen in globalen Lieferketten ins Blickfeld rückten, deren Organisation zu oft auf Billigstpreise abzielt.

Angesichts dieser Problemlage hat der deutsche EU-Ratsvorsitz den EWSA um Empfehlungen dazu ersucht, wie die Lieferketten und der Welthandel besser auf Nachhaltigkeit und gute Arbeitsbedingungen ausgerichtet werden können. In seiner Sondierungsstellungnahme dringt der EWSA auf einen europäischen Aktionsplan für Menschenrechte, menschenwürdige Arbeit und Nachhaltigkeit in weltweiten Lieferketten mit verbindlichen branchenübergreifenden EU‑Rechtsvorschriften zur Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte und des verantwortungsvollen unternehmerischen Handelns. Der Begriff der Menschenrechte sollte weit gefasst werden, auch Arbeitnehmerrechte und gewerkschaftliche Rechte umfassen und auf einer Reihe internationaler Instrumente aufbauen.

Unter Hinweis auf die entscheidende Dynamik der Debatte betonte Tanja Buzek, Berichterstatterin für die Stellungnahme zu nachhaltigen Lieferketten, dass mit ehrgeizigen Maßnahmen sichergestellt werden muss, dass die globalen Lieferketten zu einem gerechteren Wirtschafts- und Sozialmodell beitragen, das auf Nachhaltigkeit und guten Arbeitsbedingungen beruht. Der Handel wird eine Schlüsselrolle bei der Förderung einer nachhaltigen wirtschaftlichen Erholung spielen müssen, aber wir brauchen stärkere Instrumente zugunsten einer sozial- und umweltpolitisch verantwortungsbewussten Agenda für Unternehmen, Handel und Investitionen.

Damit dieser umfassende Aktionsplan zu den notwendigen Änderungen führt, sollte seine Umsetzung nach dem Dafürhalten des EWSA durch einen europaweiten sektorübergreifenden und sektoralen sozialen Dialog sowie einen nationalen sozialen Dialog unterstützt werden. In seiner Stellungnahme befasst sich der EWSA mit einem breiten Spektrum von Initiativen gesetzgeberischer und anderer Art im Sinne eines allgemeinen Rahmens.

Sorgfaltspflicht

Parallel zu seiner Arbeit an dem Aktionsplan hat der EWSA Empfehlungen zu einer europäischen Rechtsetzungsinitiative an das Europäische Parlament gerichtet, mit der eine Sorgfaltspflicht in Bezug auf die Menschenrechte und die Umweltauswirkungen von Geschäftspraktiken eingeführt werden soll.

Mit dieser von EU-Kommissar Didier Reynders im April 2020 angekündigten und für 2021 erwarteten Initiative sollen in der EU tätige Unternehmen rechtlich verpflichtet werden, negative Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeiten auf Menschen-, Arbeitnehmer- und Umweltrechte festzustellen, zu verhindern, einzudämmen und zu verantworten. Die Pflichten sollen sich auf die gesamte Wertschöpfungskette eines Unternehmens erstrecken, einschließlich seiner Tochterunternehmen, Unterauftragnehmer und Zulieferer.

Thomas Wagnsonner, Berichterstatter für die Stellungnahme zu einer verbindlichen Sorgfaltspflicht, erklärt dazu: Die verbindlichen Sorgfaltspflichten müssen neben Verletzungen der Menschen-, Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte auch Umweltfolgen erfassen und eine Haftung beinhalten, die einen wirksamen Rechtsbehelf für die von einem Fehlverhalten Betroffenen ermöglicht. Sie sollten einen hohen Stellenwert für nachhaltiges unternehmerisches Handeln und eine hohe Priorität in globalen Wertschöpfungsketten haben.

Im Interesse der Rechtssicherheit sollte der neue Rechtsakt unmissverständlich alle einzelnen Maßnahmen aufführen, die von den Unternehmen im Zuge der Sorgfaltspflicht zu ergreifen sind. Er sollte daher

Dass verbindliche Vorschriften in diesem Bereich nötig sind, wurde offensichtlich, nachdem eine von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene Studie gezeigt hatte, dass nur ein gutes Drittel aller Unternehmen die in diesem Bereich bereits bestehenden, freiwilligen internationalen Normen, wie die Leitprinzipien der Vereinten Nationen, befolgt.

Da einige Länder bereits Vorschriften zur Sorgfaltspflicht erlassen haben oder dies erwägen, besteht die Gefahr ungleicher Wettbewerbsbedingungen in Europa. Natürlich muss sichergestellt sein, dass EU-Unternehmen auf den Weltmärkten wettbewerbsfähig bleiben. Der EWSA ist der Meinung, dass die Miteinbeziehung von Unternehmen aus Drittländern, die in der EU investieren und ihre Leistungen und Produkte verkaufen, ein guter Ausgangspunkt dafür ist, weltweit für höhere Standards zu sorgen.

Internationale Instrumente

Daher sieht der EWSA die EU in einer guten Position, in Fragen der Sorgfaltspflicht mit gutem Beispiel voranzugehen. Der EWSA unterstützt ein verbindliches UN-Abkommen über Wirtschaft und Menschenrechte und dringt auf ein IAO-Übereinkommen für menschenwürdige Arbeit in Lieferketten.

Damit der internationale Handel seinen Beitrag zu einer nachhaltigen wirtschaftlichen Erholung von der COVID-19-Pandemie leisten kann, hat der EWSA eine ganze Reihe gezielter Empfehlungen zur anstehenden Überarbeitung der Handelspolitik der EU erarbeitet. Diese betreffen u. a. folgende Aspekte:

  • Ausländische Investoren sollten verpflichtet werden, der Sorgfaltspflicht nachzukommen, bevor sie von einem internationalen Investitionsabkommen profitieren können.
  • Im Rahmen von Freihandelsabkommen müssen bewährte Verfahren für die stärkere Berücksichtigung umwelt- und sozialpolitischer Kriterien bei der Vergabe öffentlicher Aufträge gefördert werden.
  • Der neue Beauftragte für Handelsaufsicht muss die Instrumente zur Verfügung haben, die zur Durchsetzung der Verpflichtungen im Bereich Handel und nachhaltige Entwicklung nötig sind.
  • Die Rolle der Internen Beratungsgruppe bei der Untersuchung von Verstößen gegen die Verpflichtungen im Bereich Handel und nachhaltige Entwicklung muss gestärkt werden.
  • Die Senkung von Zöllen sollte an die wirksame Umsetzung der Bestimmungen über Handel und nachhaltige Entwicklung geknüpft werden.
  • Streitbeilegungsmechanismen müssen verbessert werden und auch Sanktionen und Rechtsbehelfe umfassen.
  • Es sollte erwogen werden, ein System zur Bekämpfung von Sozialdumping nach dem Vorbild der EU-Antidumpingmaßnahmen einzurichten.
  • Vor dem Abschluss von Abkommen sollte von den Partnern verlangt werden, IAO‑Übereinkommen zu ratifizieren.

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