EWSA-Studie: Zivilgesellschaft verteidigt EU-Werte weiterhin, aber in einem zunehmend schwierigen Umfeld

EWSA-Gruppe Vielfalt Europa warnt eindringlich vor möglichen Folgen für die Zukunft der EU

Organisationen der Zivilgesellschaft (OZG) in Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Polen und Ungarn haben eine ähnliche Auffassung nicht nur davon, wie die Werte der EU zu definieren sind, sondern auch von der entscheidenden Rolle, die die Zivilgesellschaft bei deren Förderung spielt. Die OZG setzen sich aktiv für die Verteidigung und Verbreitung dieser Werte ein, stoßen aber in ihrer Mittlerrolle zunehmend auf Schwierigkeiten. Die Unterschiede bei der Auslegung und Anwendung der EU-Werte in den Mitgliedstaaten sind nicht in den Tätigkeiten der OZG begründet, sondern in den derzeit wechselhaften und einander beeinflussenden nationalen, europäischen und globalen Rahmenbedingungen. Dies sind einige der wichtigsten Ergebnisse der heute vom Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) veröffentlichten Studie „Die Suche nach einem neuen Konsens über die Werte der europäischen Zivilgesellschaft und ihre Bewertung“. Die Studie wurde im Auftrag der Gruppe Vielfalt Europa des EWSA vom European Policy Centre durchgeführt.

Arno Metzler, Vorsitzender der Gruppe Vielfalt Europa, stellt zu den Hauptergebnissen der Studie fest: Nur mit einem gemeinsamen Verständnis der Werte der EU und der Unionsbürgerschaft können wir gemeinsame Lösungen für Herausforderungen finden, vor denen wir alle in Europa stehen, und die europäische Integration voranbringen. Nationalismus und Populismus bleiben unweigerlich auf dem Vormarsch‚ wenn die Organisationen der Zivilgesellschaft daran gehindert werden, ihre Rolle bei der Verteidigung und Förderung der EU-Werte wahrzunehmen, und diese Werte auch noch durch andere Faktoren geschwächt werden. Die Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen ist daher für die Zukunft der Europäischen Union von entscheidender Bedeutung.

In der neuen EWSA-Studie geht es um die Frage, inwiefern die OZG in den betreffenden Mitgliedstaaten ein gemeinsames Verständnis der drei Grundwerte der EU haben, die seit 2008 durch eine Reihe unionsweiter Krisen unter Druck geraten sind. Diese Werte sind: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Solidarität. In der Studie wird untersucht, welche Hindernisse die OZG bei der Förderung dieser Werte zu überwinden haben und ob sie über 2030 hinaus dazu in der Lage sein werden.

Die jüngsten Entwicklungen deuten darauf hin, dass sich die Situation der Zivilgesellschaft in vielen Teilen Europas verschlechtert und die Werte der EU an Zuspruch verlieren, beschreibt Arno Metzler den Kontext der Studie und fügt hinzu: Uns ging es darum, mehr über die Gründe für diese Entwicklungen zu erfahren, die Herausforderungen für die Organisationen der Zivilgesellschaft bei der Verteidigung der EU-Werte zu erfassen und zu sehen, inwieweit diese Organisationen gemeinsame Wertvorstellungen haben. Die Studie kann dazu beitragen, weitere Schritte zur Stärkung der Zivilgesellschaft sowie eines gemeinsamen Verständnisses der EU-Werte und der Unionsbürgerschaft zu definieren.

Die Studie zeigt, dass die OZG eine ähnliche Auffassung sowohl hinsichtlich der Werte Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Solidarität als auch der eigenen Aufgaben zu deren Förderung vertreten. Sie bestätigt, dass die Zivilgesellschaft aktiv für die Verteidigung und Unterstützung dieser Werte in der gesamten Union eintritt. Die Studie zeigt aber auch, dass eine mangelnde Finanzierung, der technische Wandel und der Generationenwechsel und vor allem ein widriges politisches Umfeld ihre Mittlerrolle zunehmend gefährden.

Die Studie offenbart insbesondere regionale Ähnlichkeiten und Unterschiede, wie die OZG ihre Situation, ihre Wertevorstellungen und ihre Zukunftsperspektiven beschreiben, und zwar unterteilt in westeuropäische (Deutschland und Frankreich), südeuropäische (Griechenland und Italien) und osteuropäische Länder (Polen und Ungarn). Die Einschätzung von OZG in Osteuropa ist mit jener in Südeuropa vergleichbar; der Studie zufolge ist jedoch das nationale politische Umfeld bei ersteren ungünstiger.

Dies ist eine wichtige Erkenntnis der Studie, erklärt Metzler. Seine Schlussfolgerung lautet, dass der EWSA in Zukunft auf die Beseitigung dieser regionalen Unterschiede hinarbeiten muss.

Aus der Studie ergibt sich ein Gesamtbild, dem zufolge die Regierungen und die Zivilgesellschaft immer konfrontativer, politischer und polarisierter und gleichzeitig immer weniger kompromissbereit sind. Während die OZG zunehmend Schwierigkeiten haben, mit staatlichen Institutionen zusammenzuarbeiten, die von politischer Polarisierung betroffen sind, wird die Zivilgesellschaft vielfältiger. Dabei zeigen sich neue Organisationen, etwa Basisbewegungen, weniger offen für ein konstruktives Miteinander im Rahmen des Systems.

In dieser Hinsicht erklärt Metzler: Der EWSA muss seinem Auftrag gerecht werden, indem er solchen Tendenzen entgegentritt und ein Klima von Verständnis und Kompromissbereitschaft fördert.

Der Studie zufolge sind künftig Kooperationen und Innovationen seitens der Zivilgesellschaft und der staatlichen Institutionen erforderlich, wenn die OZG weiterhin die EU-Werte verteidigen sollen.

Zum einen wird in der Studie vorgeschlagen, dass die EU-Mitgliedstaaten und -Institutionen Maßnahmen ergreifen, um die Finanzierung der OZG zu verbessern, die rechtlichen Anforderungen für ihre Arbeit anzugleichen und zu vereinfachen sowie die Kanäle für den zivilen Dialog zu stärken und aufrechtzuerhalten. Eine weitere Schlussfolgerung lautet‚ dass die EU-Institutionen jene OZG besonders unterstützen sollten, die in Ländern mit einem restriktiven politischen Umfeld tätig sind, und dass sie dringend ihre Kommunikation über die Werte, Projekte und Errungenschaften der EU verbessern sollten. Die OZG sollten an der bevorstehenden Konferenz zur Zukunft Europas aktiv beteiligt werden, denn sie können zu einem gemeinsamen europäischen Verständnis der Werte und zu deren Förderung beitragen.

Zum anderen wird in der Studie festgestellt, dass OZG, die die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Organisationen – auch solchen mit Sitz in anderen Ländern, Dachorganisationen auf europäischer Ebene und neuen Bewegungen mit unterschiedlichen Methoden und Unterstützern – nutzen, in den kommenden Jahren am besten in der Lage sein werden die EU-Werte zu fördern. Außerdem wird vorgeschlagen, dass die OZG zeitgemäß handeln und soziale Medien optimal nutzen, um Zielgruppen jenseits ihres traditionellen Publikums zu erreichen, dass sie ihre Tätigkeiten verstärkt online durchführen, um Betriebskosten zu sparen, und dass sie ihre Finanzquellen so weit wie möglich diversifizieren. Falls notwendig, sollten sie das gesamte Spektrum der verfügbaren Rechtsinstrumente ausnutzen.

Schließlich wird in der Studie hervorgehoben, dass es den OZG aufgrund der Coronavirus-Pandemie schwerer fällt, ihren Aufgaben nachzukommen. In diesem Zusammenhang fordern Arno Metzler und die Gruppe Vielfalt Europa erneut eine angemessene und gezielte Unterstützung und Würdigung der Zivilgesellschaft: Man muss bedenken, dass die Nachhaltigkeit und das Wohl der Europäischen Union auch von der täglichen Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen abhängen.

Weitere Informationen zur Studie:

Die Studie stützt sich auf eine Kombination quantitativer und qualitativer Methoden der Datenerhebung und -analyse. Sie beruht in erster Linie auf Interviews, die zwischen März und Juni 2020 mit 62 OZG-Vertretern geführt wurden: 13 aus Griechenland, 12 aus Deutschland, 11 aus Frankreich, 10 aus Italien, acht aus Polen und acht aus Ungarn. Die befragten OZG decken ein breites Spektrum von Akteuren ab: Organisationen, die sozial schwache Gruppen vertreten und sich für eine aktive Bürgerbeteiligung an Entscheidungsprozessen einsetzen (26), sowie Organisationen in den Bereichen Menschenrechte und Familie (16), Umwelt (5), Medien (5), Jugend (3), Religion (3) und Verbraucher (2) sowie neue Basisbewegungen (2).

Wenn Sie an weiteren Empfehlungen der Studie für EU-Institutionen, Regierungen der Mitgliedstaaten und OZG interessiert sind, können Sie die Studie und ihre Zusammenfassung auf unserer Internetseite abrufen.

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PR EESC study: Civil society support for EU values still strong but increasingly challenged